Atomwaffen A-Z

Able Archer

US-Militärübung, 1983

Es ist historisch umstritten, aber es gibt reichlich Hinweise, dass die NATO-Militärübung „Able Archer“ fast einen Atomkrieg ausgelöst hätte. Es handelte sich um eine von den alliierten Streitkräften großangelegte Simulation eines Krieges in Westeuropa, der zu einem Atomkrieg übergeht. Die europaweite Übung simulierte alle DEFCON Alarmstufen - von 4 bis 1 - bei einer koordinierten Attacke gegen die Sowjetunion unter strenger Geheimhaltung. Dabei war die Spannung 1983 sehr hoch zwischen den Supermächten und auf beiden Seiten kriselte es im Hintergrund. Der sowjetische Abschuss eines südkoreanischen Passagierflugzeuges im selben Jahr, die US-Invasion auf der karibischen Insel Grenada sowie ein Fehlalarm des sowjetischen Frühwarnsystems, kombiniert mit sehr viel Paranoia und Fehlwahrnehmungen, führte hier zu einer Situation, die leicht außer Kontrolle raten konnte, besonders auf sowjetischer Seite. Zudem stand die Stationierung der Pershing-II-Raketen in Deutschland bevor, aus sowjetischer Sicht eine Erstschlagwaffe.

Die Sowjetunion war überzeugt, dass die NATO einen Atomkrieg aus einer Militärübung starten würde. Damit konnte sie ihre Streitkräfte bereits gut platzieren und unbemerkt einen Angriff vorbereiten. Die Simulation sollte zwischen dem 7. und 11. November laufen, eigentlich als Routineübung, um neue Verfahrenswege für den Einsatz von Atomwaffen zu überprüfen, ob sie funktionieren würde. Leider war die Simulation der nuklearen Startprozeduren jedoch so realistisch, dass sie eine Antwort aus dem Warschauer Pakt auslöste, die mehr als beunruhigend war. Die Sowjetunion mobilisierte auch ihre Streitkräfte, transportierte Atomwaffen von zentralen Lagern mit Hubschraubern zu den Einsatzorten und begann eine beispiellose Geheimdienstoperation. Die USA nahmen jedoch an, der Kreml wisse, dass die USA keinen Atomkrieg starten wolle. Als Ronald Reagan später von dem KGB Doppelagent Oleg Gordiewskij erfuhr, wie nah am Abgrund die Welt stand, war er überrascht und beschrieb die Ereignisse als „sehr beängstigend“. Er schrieb in seinen Memoiren, dass viele in der sowjetischen Führung die USA fürchteten und sie als potentielle Aggressoren sahen, die als erste Atomwaffen einsetzen würden.

Am 11. November endete die NATO-Übung und die UdSSR senkte wieder ihre Alarmbereitschaft. Von sowjetischer Seite wurde das Ereignis niemals offiziell bestätigt. Viele Details wurden durch Doppelagenten und US-Geheimdienste viel später bekannt. xh

Bearbeitungsstand: August 2023

Quellen:

The National Security Archive: The 1983 War Scare Declassified and For Real, George Washington University
Kompa M: Der letzte Tag, Telepolis, 17.11.2013
Lewis P, Williams H, et al: Too Close for Comfort, Chatham House Report, April 2014
Schwendener R: Nato wurde ausspioniert, 06.11.2003
Scoblic P: The Brink of Apocalypse, Dokumentarfilm, 2008

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