Atomwaffen A-Z

FEOKTISTOW Lew

Sowjetischer Physiker, 1928 - 2002

Lew Feoktistow war einer der Väter der sowjetischen Wasserstoffbombe, doch später stellte er Atomwaffen und ihren Sinn in Frage.

Lew Feoktistow wurde am 14. Februar 1928 in Moskau geboren, wo er an seinem 74. Geburtstag starb. Als 23jähriger Physikabsolvent kam Lew Feoktistow 1951 in die geheime sowjetische Atomstadt Arsamas-16. Hier arbeitete auch Andrej Sacharow, der später Friedensnobelpreisträger werden sollte, an der Entwicklung der Wasserstoffbombe.

Feoktistow war den sowjetischen Headhuntern wegen seiner herausragenden Studienleistungen aufgefallen, die Entsendung nach Arsamas-16 war wie ein Befehl aufzufassen. Die sowjetische Wissenschaft, angetrieben von der Parteiführung in Moskau, arbeitete fieberhaft an der H-Bombe, die von den USA 1954 erstmals getestet werden sollte. Zwei Jahre zuvor hatten die US-Amerikaner mit der Detonation der Testanlage „Ivy Mike“ allerdings schon bewiesen, dass eine Wasserstoffbombe prinzipiell möglich ist. Dieses Monopol galt es zu brechen. Moskau war überzeugt, als Nichtbesitzer dieser schrecklichsten aller Waffen den USA auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein. Physiker und Geheimagenten standen unter Hochdruck.

Für den jungen Physiker war die Arbeit an der thermonuklearen Reaktion, der Fusion von Wasserstoffatomen, die gewaltige Energien freisetzt, zunächst vor allem ein aufregendes wissenschaftliches Abenteuer. „Wir alle dachten anfangs nicht über den tatsächlichen Sinn dessen nach, was wir da taten“, erinnerte er sich Jahrzehnte später. „Alles war so außerordentlich interessant vom Standpunkt der Wissenschaft aus“.

Doch in den siebziger Jahren beschlichen Feoktistow Zweifel am Sinn des ganzen Unternehmens. Da arbeitete eine ganze Industrie mit voller Leistungsfähigkeit, 40.000 Sprengköpfe hatten sich angesammelt. „Ich selbst sah für keinen einzigen eine Anwendungsmöglichkeit“.

1977 schrieb Feoktistow an die sowjetische Regierung. Die UdSSR sollte einseitig die Kerntests beenden. Die Kosten für die 15 bis 17 Tests pro Jahr seien einfach zu groß, der Nutzen „minimal“. Darauf ging in der sowjetischen Führung in der Zeit des Kalten Krieges niemand ein.

Feoktistow wählte indes nicht den Weg von Sacharow, der in dieser Phase zum entschlossenen Gegner der sowjetischen Hochrüstung und zum Dissidenten wurde. Feoktistow zog sich aus der militärischen Forschung zurück und ging nach Moskau ans Kurtschatow-Institut. Die „seelische Unruhe über die unnütz vergeudeten Anstrengungen“ trieben ihn schließlich am Ende einer großen Wissenschaftskarriere dazu, das Durchlebte in einem Buch aufzuarbeiten. Alle, die an der Schaffung von Kernwaffen beteiligt waren, so seine Überzeugung, sollten ihre Verantwortung gegenüber der Menschheit nicht vergessen, die durch die radioaktive Gefahr schutzlos geworden und praktisch an die Grenze des Aussterbens getrieben wurde, resümierte Lew Feoktistow die - wenn auch späte - Erkenntnis seines Lebens.

Bearbeitungsstand: März 2007

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Quelle:

Quiring M: Vom Waffenschmied zum Pazifisten, DIE WELT, 02.03.2002.

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