Kainar-Syndrom
engl.: Kainar syndrome
Das Kainar-Syndrom wurde nach dem Ort Kainar (oder Kaynar) genannt, der mitten im bisher streng abgesperrten ehemaligen Atomtestgebiet Kasachstans liegt. Der Begriff beschreibt ein neuro-zirkulosen Dystonie-Syndrom – erhöhtes Bluten, Haarverlust, Ohnmachtsanfälle und Erschöpfung – als Folge der radioaktiven Strahlung, und wurde in den 1950er Jahren verwendet.
Die Nationale Akademie der Wissenschaften der Kasachischen SSR führte von 1957 bis 1960 eine umfassende Studie über das Syndrom durch, in der festgestellt wurde, dass die Atomtests auf dem sowjetischen Atomtestgelände Semipalatinsk (SNTS) schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier haben. Allerdings wurden nicht alle Ergebnisse veröffentlicht, da die Behörden nicht glaubten, dass ein solcher Zustand existierte. Als die Ergebnisse dieser Untersuchungen den führenden Politikern Kasachstans und der ehemaligen Sowjetunion bekannt wurden, wuchs die Besorgnis über die gesundheitlichen Auswirkungen von Atomtests, und ein Moratorium für Atomtests wurde verkündet.
Vom 28.02. bis 01.03.2001 besuchte eine offizielle Delegation der Republik Kasachstans das Europaparlament in Brüssel, um auf die Probleme der Atombombentestopfer in der Region Semipalatinsk aufmerksam zu machen. Der führende kasachische Ökologe und Mediziner Prof. Dr. Seim Balmukhanov rief im Europaparlament in Brüssel zur Hilfe für die Atombombentestopfer der Region Semipalatinsk auf. Er berichtete:
„In Kasachstan haben über 500 Atombomben -Oberflächen- (atmosphärische) und -Untergrund-Tests während einer Test-Periode von ca. 40 Jahren die Regionen Semipalatinsk, Pavlodar, Teile Ost-Kasachstans und die Region Karaganda nuklear verseucht. Dabei waren mehr als 1 Million Menschen der atomaren Verstrahlung auf längere Zeit akut ausgesetzt.
„Nach Japan, dessen Bevölkerung in Nagasaki und Hiroshima schmerzhafte Erfahrungen mit Atombomben machen musste und Tausende von Toten zu beklagen hatte, wurde am kasachischen Volk die Zerstörungskraft von Atomwaffen exzessiv getestet. Im Zeitraum des Jahres 1949 bis einschließlich 1992 erschütterten allein 118 (!) Atombombentests diese Region. Davon erfolgten 30 Nukleartests in Bodennähe und ein Mehrfaches davon, d.h. 88 Nukleartests in größerer Entfernung vom Boden. Nirgendwo auf der ganzen Welt sind diese Art von Tests in größerer Intensität und Anzahl durchgeführt worden wie in der Region Semipalatinsk.“
Prof. Dr. Seim Balmukhano war mit den Problemen der Region Semipalatinsk seit 1956 vertraut. In Zusammenarbeit mit Professor Atchabarov organisierte er eine komplexe medizinische Expedition, um die Bewohner der betroffenen nuklearen Testzonen zu observieren. Gleichzeitig stellten sie akute Krankheitserscheinungen fest, die auf radioaktive Verseuchung zurückzuführen sind. Mehr als ein Drittel der Einwohner aus Kainar, Sarzhal, Dolomi und weiterer Städte war betroffen. Balmukhano besuchte erneut die Region 1995/1996 und stellte fest, dass die Sterblichkeitsrate auf einem sehr hohen Niveau lag, d.h. mehr als 2 bis 2,5-mal so hoch wie in nicht radioaktiv verseuchten Gebieten. 80-90% der Kinder und Frauen leideten an Blutarmut, und 60-70% leideten an Störungen der Schilddrüsenfunktion. Die Hälfte der Bevölkerung leideten am sogenannten Kainar-Syndrom.
In dem fast verlassenen Dorf befindet sich eine Tafel mit folgenden Angaben: „566 Explosionen wurden gezählt und 28 Leukämie- und 27 Hautkrebstote sowie weitere 204 Krebstote“.
Bearbeitungsstand: Mai 2024
Quellen:
ATchabarov A: Kainar Syndrome: History of the First Epidemiological Case-Control Study of the Effect of Radiation and Malnutrition, Central Asian Journal of Global Health, 23.01.2015
Balmukhanov S: Atombombentestopfer in Kasachstan, Internationale Hilfsfonds, 11.10.2013
