Unbeabsichtigter Einsatz
engl.: Nuclear war by mistake
Die Nuklearmächte behaupten, dass sie Atomwaffen ausschließlich bereithalten, um mögliche gegnerische Angriffe abzuwehren und dass sie grundsätzlich davon ausgehen, diese Waffen nie einsetzen zu müssen. Aber selbst wenn nicht beabsichtigt wäre, diese Waffen jemals einzusetzen, so kann die Gefahr eines Atomkrieges als Folge eines technischen Fehlers oder menschlichen Versagens nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Die Angst vor einem unbeabsichtigten Atomkrieg begleitet uns, seit Atomwaffen für militärische Zwecke zur Verfügung stehen. Es existiert ein permanentes Risiko, dass Regierungen in kritischen Lagen den Gegner in seiner Handlungsweise falsch interpretieren und dadurch zu gravierenden Fehlentscheidungen veranlasst werden. Da Interkontinentalraketen innerhalb von ca. 30 Minuten von den USA nach Russland und umgekehrt ihre Ziele erreichen können, verbleibt nur wenig Zeit, den Einsatz von Atomwaffen zu beschließen, zu befehlen und auszuführen. Selbst wenn alle technischen Systeme fehlerfrei funktionieren, bleibt das Risiko einer individuellen Fehlentscheidung auf den verschiedenen Entscheidungsebenen unverändert bestehen. Als Folge der Kubakrise (1962) verständigten sich die USA und die Sowjetunion bereit 1963 auf die Einrichtung eines sogenannten „heißen Drahtes“ zwischen Moskau und Washington. In Ergänzung dazu beschlossen beide Staaten ab 1971, sich gegenseitig alle Testversuche vorab und eventuelle Unfälle mit Interkontinentalraketen unverzüglich anzuzeigen.
Trotz aller Absprachen und modernster gegenseitiger Satellitenüberwachung kam es wiederholt zu kritischen Situationen. Bekannt ist der Vorfall vom 25. Januar 1995. Die sowjetische Radarüberwachung erkannte eine feindliche Rakete, die von der norwegischen Küste Richtung Russland unterwegs war. Der russische Präsident Jelzin glaubte an einen Angriff und erklärte darauf hin seinerseits den atomaren Einsatz. Es verblieben nur wenige Minuten und glücklicherweise stellt sich nach ca. 8 Minuten heraus, dass die angeblich feindliche Interkontinentalrakete einen anderen Kurs folgte. Später stellte sich heraus, dass der Einsatz von den US ordnungsgemäß angezeigt worden war, aber aus unerklärlichen Grüden nicht die zuständigen sowjetischen Stellen erreicht hatte.
Da in jüngerer Zeit immer mehr Staaten, die nicht über die technischen Möglichkeiten der USA oder Russlands verfügen, Atomraketen einsatzbereit haben, steigt die Gefahr eines unbeabsichtigten Einsatzes ständig an. Die atomare Bedrohung nimmt nicht ab, im Gegenteil sie wächst. (LL)
Quelle: IPPNW, September 2005
Bearbeitungsstand: Juli 2011