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Tozkoje Atomwaffenübung (Sowjetunion, 1954)

engl.: Totskoye nuclear exercise (Soviet Union, 1954)

Die Tozkoje-Militärübung war eine von der sowjetischen Armee im September 1954 durchgeführten Übungen mit Atomwaffen -  auch als „Joe 8“ bekannt. Die Übung wurde unter dem Codenamen „Snezhok“ (Schneeball) geführt. Sie fand auf dem Gelände von Tozkoje in der Oblast Orenburg statt, die im Süden Russlands an der Grenze zu Kasachstan liegt. Die Militärübung war die erste ihrer Art, bei der eine Atomwaffe detonierte. Erklärter Zweck der Übung war, den Einsatz der Atomstreitkräfte als Mittel zum Durchbrechen der gegnerischen Verteidigung zu untersuchen.

Das militärische Training kombiniert mit einer Atomexplosion wurde durchgeführt, um die Auswirkungen auf Kriegswaffen, Tiere und die bereits vorbereiteten Verteidigungsanlagen zu erfahren, die den Aufbau einer gegnerischen Streitmacht simulierten. Auch die Strahlenauswirkungen im Krieg sollten untersucht werden.

Der Standort der Militärbasis wurde speziell deshalb gewählt, weil die Lage der Region hügelig und waldreich war. Damit ähnelte er Fulda Gap in Deutschland, den der für die Übung verantwortliche Armeegeneral Georgi Schukow für den wahrscheinlichsten Ort für den Beginn des Dritten Weltkriegs hielt.

Am 14. September 1954 um 9:33 Lokalzeit warf ein sowjetische Tu-4 Bomber eine 40 Kilotonnen (KT) starke Atombombe ab. Sie explodierte in der Luft, 350 Meter über dem Gelände. Es folgten weitere nichtnukleare Explosionen, um eine zweite nukleare Anschlagswelle zu simulieren.

An der Übung nahmen in etwa 45.000 ausgewählte Soldaten von der 270. Schützendivision der sowjetischen Armee und anderen Einheiten teil. Die Division sollte die erste sein, die für einen Atomkrieg ausgebildet wird. Sie hatten sich über drei Monate auf diesen Tag vorbereitet – 380 km Schutzgräben, Bunker und Modellhäuser wurden gebaut; 6.000 Kraftfahrzeuge, 500 Kanonen und Minenwerfer, 320 Flugzeuge und 600 Panzer bereitgestellt; Kühe, Pferde und andere Tiere angebunden – um die Auswirkungen der Druckwelle zu sehen. Aber nicht nur die Bauten, Waffen, Fahrzeugen und Tiere waren Versuchsobjekte, sondern auch die Soldaten selbst.

Am Vorabend besuchte eine hochrangige Delegation das Gelände, darunter Generalsekretär Nikita Kruschtschow, Verteidigungsminister Nikolai Bulganin und Atomwissenschaftler Igor Kurtschatow.

Die Soldaten sind drei Stunden nach der Detonation zum Areal nahe am Hypozentrum gefahren. Ihnen wurde vorhergesagt, dass sie an einer geheimen Übung mit einer neuen Waffe teilnehmen würden und bekamen dafür Geld. Nur ein Teil der Soldaten wurde zwar mit Gasmasken und Schutzbekleidung ausgestattet, aber diese Maßnahmen boten nicht ausreichend Schutz gegen die hohen Mengen an Radioaktivität. Die Entsorgung der kontaminierten Kleiderstücke war mangelhaft. Ein Offizier berichtete, dass in der Zone direkt neben dem Hypozentrum eine Kruste von glasähnlichem geschmolzenen Sand (Trinitit) den Boden bedeckte.

Auch Zivilist*innen waren betroffen. Innerhalb der 160 km² wohnten damals rund eine Million Menschen, die vorher nicht informiert wurde. Die Bevölkerung näher am Explosionsgelände wurde nur lückenhaft evakuiert. Den Dorfbewohner*innen, die blieben, wurde gesagt, sie sollten Schutzgräben ausgraben oder sich flach auf den Boden mit geschlossenen Augen legen. Die Dörfer Bogdanowka, Fjodorowka u.a. innerhalb der 8_km² Sperrzone wurden fünf Tage vor der Übung temporär evakuiert. Wer danach nicht mehr dort wohnen wollte, dem wurde woanders ein neues Haus angeboten.

Sowjetische Wissenschaftler begannen kurz danach die Auswirkungen der Atomexplosion zu untersuchen. Ein erster Bericht wurde in der Pravda am 17. September 1954 veröffentlicht. „Es wurden wertvolle Ergebnisse erzielt, die den sowjetischen Wissenschaftlern und Ingenieuren helfen werden, die Aufgabe des Schutzes des Landes vor nuklearen Angriffen erfolgreich zu lösen,“ so der Bericht.

Es wurde später berichtet, dass es schwerwiegende Folgen durch die Strahlenbelastung auf die Bevölkerung gegeben habe. Zahlreiche Fälle von Krebs, Geburtsfehlern, erhöhter Kindersterblichkeit, hämatologischen Erkrankungen und Chromosomenanomalien wurden dokumentiert. Diejenige, die ganz starken Dosen abbekommen hatten, sind noch im Militärlager in Tozkoje an der Strahlenkrankheit gestorben. Der am 14. September 1954 starke Wind wehte Spaltprodukte und Staubwolke östlich vom Explosionsort, eine Ausbreitung des radioaktiven Niederschlags (Fallout) über etwa 210 km² fand damit statt.

Die Soldaten mussten ein Statement unterzeichnen, dass sie über die Übung 25 Jahre nicht reden durften. Sie organisierten jedoch später ein Komitee von Veteranen, die den „Sonderrisiken“ ausgesetzt waren. Das Komitee forderte Entschädigungen und medizinische Versorgung für radioaktivitätsinduzierte Krankheiten.

Die gesundheitlichen Folgen auf die betroffenen Dorfbewohner*innen sind von den offiziellen Stellen nie untersucht worden. 1997 wurde ein Buch über die Folgen der Atombombenexplosion in Tozkoje auf die Umwelt und die Menschen im Orenburger Gebiet veröffentlicht. Die von der Regierung unabhängigen Autoren behaupten, sie haben Anfang der 90er Jahre eine erhöhte Rate von Krebserkrankungen in dem vom radioaktiven Niederschlag betroffenen Gebiet festgestellt.

Auf dem Hypozentrum der Atomexplosion wurde ein Mahnmal gebaut. xh

Bearbeitungsstand: September 2024

Quellen:
Discovery Channel: Totskoye nuclear exercise, from The Red Bomb: In the Name of Peace, YouTube, 1994
Leone D: The Totskoye Nuclear Exercise, the deadliest military exercise in history, the Aviation Geek Club, 10.09.2023
Johnston WR: Totsk nuclear test, 1954, Johnstons Archive, 05.05.2005
Petrow I: On Safety [during the Totskoye Nuclear Exercise], Wilson Center, April 1954
Savka O: Soviet government tested troops with A-Bomb to oppose an attack from US, pravda, 14.09.2004
Serebriakow M: Totskoye Nuclear Exercise, Stanford Universität, 27.02.2019
Simons M: Soviet Atom Test Used Thousands As Guinea Pigs, Archives Show, New York Times, 07.11.1993
Tissen D: Atombombentest in Tozkoje 1954, Neu-Samara, 22.01.2005

 

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