Atomwaffen A-Z

Atomwaffenstaat | Vereinigtes Königreich

Die Briten haben ihre erste Atomwaffe im Jahr 1952 getestet. In den folgenden 25 Jahren produzierte Großbritannien ca. 1.250 Atomsprengköpfe von neun verschiedenen Typen. Zwischen 1974 und 1981 hatte das Land die meisten Atomwaffen mit rund 500 Stück, die eine Gesamtsprengkraft von ca. 140 MT (Megatonnen) hatten. Laut SIPRI liegt die Zahl der Atomwaffen heute bei 200.

Seit 1998 hat Großbritannien nur noch ein Atomwaffensystem: eine Flotte von vier atombetriebenen U-Booten der „Vanguard“-Klasse, die mit je 16 seegestützten Trident II D5 Raketen bestückt werden können.

Geschichte

Großbritannien und die USA haben eine sehr eng verflochtene Beziehung, wenn es um Atomwaffen geht. Obwohl die britische Regierung immer wieder beteuert, dass die britischen Atomwaffen eine “unabhängige Abschreckung” darstellen, allerdings spiegelt weder die Geschichte noch die heutige Situation diese Aussage wider. Das Atomwaffentestprogramm der Briten wurde von 1962 bis 1991 auf dem Atomwaffentestgelände in Nevada, USA, durchgeführt. Die britischen Streitkräfte wurden über 30 Jahre lang mit US-Atomwaffen bestückt. Die USA hat im Kalten Krieg einige wichtige Stützpunkte und ihre eigenen Atomwaffen und Trägersysteme in Großbritannien gelagert, darunter auch die Thor-Rakete.

Die USAF/RAF-Stützpunkte Greenham Common und Molesworth waren in den 1980er am bekanntesten, weil es in diesen Basen zu öffentlichkeitswirksamen Protesten gegen die Stationierung von Cruise Missiles (Marschflugkörper) unter dem NATO-Doppelbeschluss kam. Die USAF-Stützpunkte Lakenheath und Upper Heyford waren die Hauptstandorte für US-Jagdbomber mit freifliegenden Atombomben bis 1991.

Die GB-US-Beziehung ist einmalig für ihre Kollaboration im Bereich Forschung und Entwicklung von Atomsprengköpfen. Die Trident-Raketen sind auch von den USA gemietet. Obwohl die U-Boote in Großbritannien gebaut wurden, kommen auch viele Komponenten und Zielsysteme aus den USA. Die Sprengköpfe selbst wurden nach US-Design in Großbritannien bei Aldermaston gebaut. Manche wichtige Teile der Sprengköpfe werden jedoch direkt in den USA entwickelt und hergestellt.

Atomwaffendoktrin

Britische Atomwaffenpolitik wurde im Weißbuch aus dem Jahr 2006 als „The future of the UK’s nuclear deterrent“ bezeichnet und mit dem Weißbuch von 2010 und 2015 um die Strategische Überprüfung der Verteidigung und Sicherheit (SDSR - Strategic Defense and Security Review) ergänzt. Laut dem Papier zur Atomwaffenpolitik der Regierung von 2010 bis 2015 habe sich zwar die Bedrohung seit Ende des Kalten Krieges verändert und Großbritannien bzw. die vitalen Interessen des Landes seien nicht direkt bedroht, jedoch erlaube die globale Lage, in der große nukleare Arsenale und die Gefahr der Weitergabe weiterhin bestehen, keine vollständige Abrüstung. Der Zweck der Atomwaffen sei lediglich die abschreckende Wirkung, die einen Angriff verhindern soll. Diese Abschreckung soll auf einem „Minimum“ gehalten werden. Atomwaffen seien „politische“ Waffen, die nur unter extremen Bedingungen der Selbstverteidigung (einschließlich der Verteidigung der Bündnispartner) einzusetzen sind und niemals wider internationalem Völkerrecht. Großbritannien versichere, niemals Atomwaffen gegen einen Staat einzusetzen oder damit zu drohen, wenn der betroffene Staat keine Atomwaffen besitzt und Unterzeichnerstaat des Atomwaffensperrvertrages ist. Allerdings nur solange er die Verpflichtungen des Vertrags einhalte. Ein neues Weißbuch wird im Jahr 2020 veröffentlicht.

Atomstreitkräfte

Großbritannien hat vier Atom-U-Boote, die mit kriegerischem Namen getauft sind: Vanguard (Spitze), Victorious (Sieger), Vigilance (Wachsamkeit) und Vengeance (Vergeltung). Ein U-Boot ist zu jeder Zeit auf Patrouille. Jedes U-Boot kann jeweils 16 DII-Raketen tragen, das patrouillerende U-Boot darf heutzutage maximal acht tragen. Eine DII-Rakete kann bis zu 12 Sprengköpfe tragen, mittlerweile sind insgesamt nur 40 Sprengköpfe auf jedem U-Boot erlaubt. Dadurch finden sich auf den U-Booten insgesamt vier Raketen, die jeweils 10 Sprengköpfe tragen. Jeder dieser Sprengköpfe besitzt eine Sprengkraft von 100 Kilotonnen und ist ein britischer Nachbau des US W76-Sprengkopfes.

Im Jahr 1998 lag die Gesamtzahl der Sprengköpfe für jedes U-Boot noch bei 48, d.h. insgesamt 192 waren auf die vier U-Boote verteilt. In dem Zusammenhang spricht man von einsatzfähigen Sprengköpfen, da sie auf dem U-Boot als gefechtsbereit gelten. Alle weiteren Sprengköpfe gelten als Reserve. Im Oktober 2010 kündigte die britische Regierung mit der Veröffentlichung der neuen Atomdoktrin eine Reduzierung an. Diese forderte bis Mitte des nächsten Jahrzehnts, dass die vier U-Boote mit weniger Atomsprengköpfen bestückt werden, d.h. für ein U-Boot 40 statt 48, die von acht Raketen getragen werden. Damit wären 160 Sprengköpfe einsatzbereit und 65 würden bei einem Gesamtarsenal von 225 in Reserve sein. Das langfristige Ziel solle es sein, bis 2025 das Gesamtarsenal auf 180 zu beschränken. In dem SDSR aus dem Jahr 2015 wurde die Zahl der einsatzbereiten Atomsprengköpfe bereits auf 120 reduziert, dabei bleiben 95 in Reserve. Laut SIPRI (2019) sind aktuell nur noch 80 Sprengköpfe in Reserve und somit umfasst das Gesamtarsenal 200 Atomsprengköpfe.

Die Trident-Raketen haben eine Reichweite von 7.400 Kilometern und können somit Russland oder den Nahen Osten erreichen. Ununterbrochen patrouilliert ein U-Boot im Atlantik, während ein weiteres gewartet wird und die zwei übrigen im Hafen bleiben oder für militärische Übungen vorgesehen sind. Eines dieser letzten beiden U-Boote soll laut Gordon Brown (2009) in Zukunft wegfallen. Allerdings nannte er dafür keinen Termin und sein Nachfolger Liam Fox widerrief seine Aussage 2011, als er meinte, Großbritannien brauche alle vier U-Boote.

Das patrouillierende U-Boot wird in reduzierter Alarmbereitschaft gehalten, d.h. in den Raketen sind keine Zielcodes programmiert. Es soll erst nach Tagen möglich sein, die Atomwaffen abzufeuern. Während des Kalten Krieges waren es nur Minuten.

Die Trident II-Rakete hat als erste die Möglichkeit, auch stark gepanzerte Ziele zu vernichten. Sie kann damit z.B. unterirdische Ziele zerstören - ein Wunsch der Militärstrategen, die eine erhöhte Bedrohung von sogenannten Schurkenstaaten befürchten. Die USA plant 2020 eine Modernisierung der Raketen.

Aufrüstung

Die britische Regierung will Atomwaffen für mindestens die nächsten 50 Jahre beibehalten. Dennoch wird das Trident-II-System, das 1994 in Betrieb genommen wurde, ca. 2025 auslaufen. Laut Berichten sind die U-Boote sehr stark renovierungsbedürftig. Am 17. Mai 2015 berichtete die schottische Zeitung Sunday Herald, dass ein Ingenieur auf dem Atom-U-Boot HMS Victorious gravierende Probleme mit dem britischen Atomwaffensystem gemeldet habe. In seinem 18-seitigen Bericht beschreibt er Zustände auf den U-Booten, die einem "vorprogrammierten Desaster" gleichkämen.

Unter Gordon Browns Regierung war die Entscheidung für eine Modernisierung der U-Boote für das britische Atomwaffensystem „Trident“ bereits gefallen, denn im März 2007 hat das britische Parlament eine Erneuerung der „Trident“ Atomwaffenträger beschlossen. 409 Abgeordnete stimmten dafür, 161 dagegen, davon 95 Abgeordnete der regierenden Labour-Partei. In den Monaten zuvor war in Großbritannien heftig über die Zukunft des nuklearen Arsenals des Landes debattiert worden.

Nach der Wahl im Jahr 2010 entfachte die Debatte über Trident erneut: Vor allem aufgrund der Finanzkrise im Vereinten Königreich wurden die Gesamtausgaben für die Modernisierung in Höhe von bis zu 97 Milliarden britischen Pfund wieder in Frage gestellt. Premierminister David Cameron erklärte im September 2010, dass es angebracht sei, zu überprüfen, ob das Preis-Leistungs-Verhältnis bei der Erneuerung des Trident-Systems stimme. Die Entscheidung wurde auf 2015 verschoben.

2014 schloss die Regierung von Großbritannien einen Deal mit den USA und beschloss, neue Abschussröhren für ein Dutzend Trident-Raketen zu kaufen. Dies löste Irritationen aus, weil der Deal bereits ein Jahr, bevor sich das britische Parlament mit der Frage der Erneuerung befassen sollte, gefasst wurde. Die Meinungen über eine Modernisierung von Trident gehen seitdem weiter auseinander.

Am 1. November 2015 stimmte die schottische Labour-Partei mit einer Mehrheit von 70 Prozent gegen die nukleare Aufrüstung. Somit unterstützte sie die Position des Parteivorsitzenden Jeremy Corbyn, der sich entschieden gegen Atomwaffen einsetzt. Corbyn erklärte, er wäre im Notfall nicht bereit, den „roten Knopf“ zu drücken. Seine Regierungsfähigkeit wurde deswegen von General Nicholas Houghton, dem Stabschef der britischen Armee, öffentlich in Frage gestellt.

Die britische Regierung kündigte 2015 schließlich an, dass sie beabsichtige, die vier aktuellen Atom-U-Boote der Vanguard-Klasse durch ähnliche, moderne Dreadnought-U-Boote zu ersetzen. Die U-Boote würden auch Trident II D5 Raketen tragen, jedoch nur acht Raketenabschussröhren besitzen.  Das Ersatzprogramm würde die kontinuierliche Abschreckung auf See (engl.: Continuous At-sea deterrence, CASD) beibehalten, wobei eines der vier U-Boote ständig auf Patrouille wäre. Das Weißpapier 2015 schätzt die Kosten für die Beschaffung auf 31 Mrd. Pfund (rund 35 Mrd. Euro) und sieht ein Kontingent von 10 Mrd. Pfund für mögliche Overheadkosten vor. Außerdem wurde bekannt gegeben, dass die neuen U-Boote frühestens 2030 in Betrieb genommen werden könnten.

Am 18. Juli 2016 nahm das britische Parlament mit 472 zu 117 Stimmen einen Antrag an, der das Engagement der Regierung für das Trident-Nachfolgeprogramm unterstützt. Der Antrag erkannte zwar an, dass die nukleare Abschreckung für die Sicherheit des Vereinigten Königreichs unerlässlich bleiben wird, gab aber keine endgültige Zustimmung zu dem neuen Programm.

Protest

Vor allem gibt es in Schottland, wo die Atomwaffen im Faslane-Stützpunkt auf dem Fluss Clyde stationiert sind, lautstarken Protest. Seit 1982 gibt es dort ein Friedenscamp; 2006 fand eine einjährige Blockade statt. Das Thema Atomwaffen war wichtig in der Debatte um die Unabhängigkeit Schottlands im Jahr 2014, wo die Scottish National Party (Pàrtaidh Nàiseanta na h-Alba) erklärte, ein unabhängiges Schottland sollte atomwaffenfrei werden.Auch vor der Burghfield-Atomwaffenanlage (nähe Aldermaston) in Berkshire wird regelmäßig protestiert. Am 6. Juni 2016 begann eine monatelange Kampagne mit Aktionen des zivilen Ungehorsams vor der Anlage.

► Quellen

Bearbeitungsstand:  April 2020

Britisches Arsenal 2020
Insgesamt215

Einsatzbereit

120
Reserve95

Quelle: SIPRI-Jahresbericht 2020

Links

Atomwaffen A-Z