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Europa

Werden französische Atomwaffen nach Osten verlegt?

18.05.2025

Mit dem Regierungswechsel in Deutschland wächst die Hoffnung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron auf eine Umsetzung seiner Idee, Europa mit französischen Atomwaffen zu verteidigen und eine Art nukleares Joint Project mit Verbündeten aufzubauen. Immer wieder hat Macron in den letzten Jahren entsprechende Andeutungen gemacht, allerdings ohne spezifische Aussagen dazu, wie eine solche europäische „Abschreckung“ aussähe.

Im Bundestagswahlkampf zeigte sich jetzt Bundeskanzler Friedrich Merz aufgeschlossen gegenüber der Idee, eine eigene nukleare Abschreckung Europas aufzubauen. Die Angst in Europa wächst, dass die nukleare Teilhabe in der NATO keine effektive Abschreckung mehr sein könnte, weil die USA unter Präsident Donald Trump nicht länger als verlässlicher Partner gelten.

Im März 2025 ging Macron in die Offensive und erklärte, er wolle prüfen, ob eine Ausweitung des atomaren „Schutzschirmes“ praktikabel sei. In seiner Rede an die Nation regte er erneut „eine strategische Debatte“ über das Thema an. Bisher stieß sein Angebot bei der deutschen Regierung auf taube Ohren; weder Angela Merkel noch Olaf Scholz zeigten Interesse. Anders Friedrich Merz: Gleich nach seiner Ernennung zum Bundeskanzler eilte dieser als erstes nach Paris. Zwar waren die Atomwaffen vermutlich nicht das wichtigste Thema, aber Merz betonte die „grundsätzliche Notwendigkeit“ über eine gemeinsame Abschreckung zu reden. Allerdings wolle er die britischen Atomwaffen dabei mit in Betracht ziehen und sehe eine europäische Abschreckung als Ergänzung zur nuklearen Teilhabe der NATO mit US-Atomwaffen.

Macron hat mehrmals deutlich gemacht, dass er die Kontrolle über den Einsatz der französischen Atomwaffen nicht abgeben werde. Ihm geht es ausschließlich um eine mögliche Verlegung der Atomwaffenträger in verbündete Länder. Zudem erwartet er eine finanzielle Beteiligung: „Frankreich wird nicht für die Sicherheit der anderen zahlen“, so Macron.

Bisher zeigt Polen am meisten Interesse an dem Angebot. Seit vielen Jahren äußern polnische Regierungen den Wunsch nach der Stationierung von Atomwaffen auf ihrem Staatsgebiet. Ministerpräsident Donald Tusk setzt diese Politik fort und hat bereits Nägel mit Köpfen gemacht, indem er am 9. Mai 2025 mit Frankreich einen Kooperationsvertrag mit einer Sicherheitsklausel abgeschlossen hat. Zwar werden  darin die nuklearen Streitkräfte nicht wörtlich erwähnt aber Tusk ist optimistisch, dass der Vertrag diese Möglichkeit eröffnet.

Die rechtlichen Fragen, die dieser Vorstoß aufwirft, werden immer wieder beiseite geschoben. Die nukleare Teilhabe, wie sie jetzt besteht, wird in internationalen Abrüstungsforen oft scharf kritisiert, weil eine Verbreitung von Atomwaffen durch den Nichtverbreitungsvertrag (NVV, 1968) grundsätzlich verboten sei. Von Befürwortern der Teilhabe wird argumentiert, dass die Kontrolle über die Atomwaffen in Friedenszeiten nicht weitergegeben werde. In einer Kriegssituation jedoch würde die Kontrolle an Pilot*innen des Teilhabestaates abgegeben, die die Atomwaffen ins Ziel fliegen und abwerfen.

Im Falle Polens stellt sich die Frage, ob eine Stationierung von Atomwaffen gegen den 2+4-Vertrag verstoßen würde, der die Wiedervereinigung und die Beendigung der Besetzung Deutschlands regelte. In diesem Vertrag wurde die Stationierung von Atomwaffen in ehemaligen Warschauer Pakt-Staaten – inklusive des Gebiets der ehemaligen DDR – ausdrücklich verboten.

Auf jeden Fall wäre die Stationierung von Nuklearwaffen östlich des ehemaligen Eisernen Vorhangs ein erhebliches Hindernis für jegliche Friedensverhandlungen mit Russland, sollten sie irgendwann möglich sein. Die Verlegung von Atomwaffen näher an die russischen Grenzen nährt die Paranoia, die Moskau seit vielen Jahren umtreibt: dass die NATO irgendwann angreift. Auch wenn Russland im Krieg gegen die Ukraine der klare Aggressor ist, Putins Narrative basieren auf genau diesen nationalen Ängsten und folgen die Strategie „Angriff ist die beste Verteidigung“. xh

Quellen:

Alexander R: Atomschirm für Europa? Bei Macron klingt Merz vorsichtiger, Welt, 07.05.2025
Brüning M-A: Militärexperte: Atommacht Frankreich kann Deutschland schutzen, WDR, 06.03.2025
Le Monde/AFP: France, Poland seal alliance with a strategic treaty, Le Monde, 09.05.2025
Waschinski G: Macron deutet Ideen zum Atombomben-Schutzschirm an, Handesblatt, 14.05.2025

 

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