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Atomwaffenstaaten

Die Atommächte erklären, keinen Atomkrieg führen zu wollen

04.01.2022

Am Vorabend der inzwischen erneut verschobenen Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages (NVV), die am 4. Januar 2022 in New York hätte stattfinden sollen, erklärten die fünf „offiziellen“ Atomwaffenstaaten: „Ein Atomkrieg kann nie gewonnen werden und darf nie geführt werden“. Zudem bekennen sie sich weiter zum NVV und zu Artikel VI des Nichtverbreitungsvertrages, den sie auch zitieren.

Der Artikel verpflichtet alle Vertragsparteien, „in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle“.

Darüber hinaus wollen die fünf Atommächte „strategische Risiken“ reduzieren und einen unbeabsichtigten oder unautorisierten Einsatz von Atomwaffen verhindern. Zu diesem Punkt hatten sie bereits kurz vor Weihnachten ein Papier veröffentlicht, in dem sie Maßnahmen zur Reduktion der Risiken und der Verbesserung der Kommunikation in Krisenfällen erläuterten.

Neu in dem Januar-Statement ist, dass sich Großbritannien und Frankreich der „Reagan-Gorbatschow-Formel“ zur Nichtdurchführbarkeit eines Atomkrieges angeschlossen haben. Bereits bei dem Treffen der Präsidenten Wladimir Putin und Joe Biden am 16. Juni 2021 schlossen sich die beiden Staatschefs den Formeln an, ebenso kurz darauf Xi Jinping für China. Nun stehen die „De-Facto“-Atomwaffenstaaten Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea unter Druck, auch solche Erklärungen abzugeben.

Mit der neuen Erklärung wollten die fünf Atomwaffenstaaten die Teilnehmer*innen der NVV-Überprüfungskonferenz positiv einstimmen. Die Erklärung wurde zwar weltweit begrüßt, doch es gibt auch kritische Stimmen, die darauf hinweisen, dass alle Atomwaffenstaaten in Begriff sind, ihre Atomwaffenarsenale weiterhin massiv aufzurüsten. Das Statement erkenne zwar ihre Abrüstungsverpflichtung an, erkläre aber nur die Weiterverbreitung verhindern und die Risiken  reduzieren zu wollen. Es bleibe bei einer Absichtserklärung.

Diese Aussagen werden für die atomwaffenfreien Vertragsstaaten nicht weitgehend genug sein, denn sie drängen darauf, dass der UN-Vertrag zum Atomwaffenverbot (AVV), der im Januar 2021 in Kraft getreten ist, von den Atomwaffenstaaten im Kontext der NVV-Verhandlungen anerkannt wird. Die Überprüfungskonferenz wird wegen der Coronavirus-Pandemie voraussichtlich erst im August 2022 stattfinden können. Ursprünglich war sie für Mai 2020 geplant und wurde jetzt zum dritten Mal verschoben.

Zudem werden die Unterstützerstaaten des AVV, der auf einem Konsens zu den katastrophalen humanitären Konsequenzen von Atomwaffen basiert, die Aussage dazu im Statement als unzureichend kritisieren. Die Atomwaffenstaaten formulieren die Konsequenzen als „weitreichend“. Damit gehen sie nicht so weit wie die lang erwünschte Formulierung der 159 Staaten der „Humanitäre Initiative“, dass ein Atomkrieg wegen der katastrophalen humanitären Konsequenzen unter keinen Umständen geführt werden darf. Aus diesem Grund sollen Atomwaffen verboten werden, so die AVV-Staaten. Stattdessen erklären die Atommächte, dass Atomwaffen – solange sie existieren – „nur defensiven Zwecke, um gegen Aggression abzuschrecken und um Krieg zu verhindern, dienen sollen“.

Dieser Satz wird zudem in der öffentlichen Debatte in den USA über eine sogenannte „Sole Purpose“-Doktrin, die Präsident Biden in seiner Wahlkampagne beworben hat, eine Rolle spielen. Eine solche Doktrinänderung würde bedeuten, dass die USA Atomwaffen nicht mehr zur Abschreckung vor Aggression oder zur Verhinderung eines Krieges nutzen würden, sondern lediglich um einen atomaren Angriff abzuschrecken. Die Aussage in dieser Erklärung bleibt aber weit hinter dieser Idee zurück.

Im letzten Absatz wird von einer „unverminderten Sicherheit für alle (Staaten)“ gesprochen. Auch diese Formulierung ist für die atomwaffenfreien Vertragsstaaten ein rotes Tuch, da sie sich von der Existenz von Atomwaffen massiv bedroht fühlen. Der Konflikt über die Sicherheitsbedürfnisse der Mehrheit der Staaten gegenüber denen der fünf Atomwaffenstaaten und ihrer Bündnispartner ist für den Zusammenhalt des NVV eine Gefahr. Die AVV-Staaten sehen ihre Sicherheit in einem Atomwaffenverbot und einer kompletten Abschaffung von Atomwaffen gewährleistet.

Hinzu kommt die Spannung im Mittleren Osten wegen der atomaren Bewaffnung Israels, die die NVV-Verhandlungen weiterhin stark belastet. Die anderen Staaten in der Region wollen, dass Israel endlich an den Verhandlungen über eine Zone frei von Massenvernichtungswaffen teilnehmen, was bei den NVV-Verhandlungen im Jahr 1995 versprochen wurde. Diese Belastungen für den Nichtverbreitungsvertrag bleiben weiter bestehen, auch nach der jüngsten Erklärung der Atomwaffenstaaten. 04.01.2022 xh

Joint Statement of the Leaders of the Five Nuclear-Weapon States on Preventing Nuclear War and Avoiding Arms Races, 03.01.2022

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