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Libyens Atomwaffenprogramm

Im März 2003, nur wenige Tage vor dem Beginn der US-geführten Invasion im Irak, wurde das Ende des libyschen Atomwaffenprogramms eingeleitet.

Zu diesem Zeitpunkt nämlich, nahmen libysche Geheimdienstoffiziere – im Auftrag Gaddafis – Kontakt zur britischen Regierung um Premierminister Tony Blair auf und signalisierten die Bereitschaft des Landes für Verhandlungen über die vollständige Einstellung und Offenlegung seines Programms zur Entwicklung und Herstellung von Massenvernichtungswaffen.

Zwar mag der bevorstehende Irakkrieg, welcher fälschlicherweise durch den angeblichen Besitz von Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins legitimiert wurde, eine Rolle bei dieser Entscheidung gespielt haben, jedoch dürfte sie vor allem auf den Wunsch nach dem Ende der politischen und ökonomischen Isolation Libyens innerhalb der internationalen Gemeinschaft zurückzuführen sein.

Denn zu diesem Zeitpunkt blickte Libyen auf 18 Jahre andauernde Sanktionierungen durch die USA, zunächst aufgrund von staatlicher Terrorismusförderung und später zusätzlich wegen der Entwicklung von Massenvernichtungswaffen zurück.

Erste Versuche

Libyen, das 1975 den Atomwaffensperrvertrag ratifiziert hat, bemühte sich bereits in den frühen 1970er Jahren erfolglos um den Erwerb von Atomwaffen von der Volksrepublik China und um eine nukleare Zusammenarbeit mit Pakistan.

Wie im Jahr 2004 bekannt wurde, importierte Libyen zwischen 1978 und 1981 insgesamt 2.263t Uran aus dem Niger, wovon lediglich 1.000t gegenüber der IAEO deklariert wurden.

Im Zuge einer Zusammenarbeit mit der UdSSR wurde 1979 ein nuklearer Forschungsreaktor bei Tajoura, mit einer Kapazität von 10MW fertiggestellt, welcher auch heimlich für die Erforschung der Herstellung von Plutonium genutzt wurde. Bereits zuvor und auch danach bemühte sich Libyen jedoch erfolglos um den Erwerb leistungsfähigerer Reaktoren. Auch Verhandlungen mit der Sowjetunion über den Kauf eines Atomkraftwerk in den 1970er und 80er Jahren verliefen im Sande. Verhandlungen über den Kauf eines größeren Reaktors aus Frankreich sowie über technische Unterstützung von einer belgischen Firma, wurden im Zuge von Protesten der internationalen Gemeinschaft gestoppt.

Schlechte Beziehungen und Sanktionen

Bereits in den 1970er Jahren waren die Beziehungen zwischen den USA und Libyen stark belastet. Die USA bezeichneten Libyen 1979 als „staatlichen Förderer von Terrorismus“. Nach dem Anschlag auf die Diskothek La Belle in Berlin 1986, verhingen die USA erstmals ökonomische Sanktionen gegen Libyen und führten zur Vergeltung einen Luftangriff auf das Land aus, bei dem mindestens 15 Menschen starben. Nach dem Anschlag auf ein ziviles Flugzeug der Firma Pan Am, im Dezember 1988 über Lockerbie in Schottland, weiteten die USA diese Sanktionen 1992 und 1996 aus.
Dies in Verbindung mit den ab Anfang der 90er Jahre verhängten massiven UN-Sanktionen, erschwerte die Entwicklung libyscher Atomwaffen enorm, da sich insbesondere die Finanzierung nun sehr schwerlich gestaltete.

Nachdem man sich in der Folge des Zusammenbruchs der UdSSR erfolglos um sowjetische Technologien und Wissenschaftler bemüht hatte, unterzeichnete Gaddafi 1996 den Vertrag von Pelindaba, über die Einrichtung einer atomwaffenfreien Zone in Afrika. Dies geschah nur kurze Zeit nachdem Gaddafi in einer Rede die Entwicklung einer arabischen Atombombe gefordert hatte, mit welcher man Israel die Stirn bieten solle.

Heimliche Kontakte

Im Jahr 1997 nahm Libyen Kontakt zum Netzwerk des sogenannten „Vaters des pakistanischen Atomprogramms“, Dr. Abdul Qadeer Khan, auf, mit dessen Hilfe der Kauf von Zentrifugenkomponenten, unter anderem aus Pakistan, gelang. Im Oktober 2000 führte Libyen dann seinen ersten erfolgreichen Zentrifugentest ohne nukleares Material durch, woraufhin ein Jahr darauf der Kauf von ca. 2t Uranhexafluorid (UF6), welches hochangereichert zum Bau von Atombomben genutzt wird, angeblich aus Pakistan oder Nordkorea, gelang.

Ab dem Jahr 2000 erwarb Libyen große Mengen von Komponenten die zur Zentrifugenherstellung benötigt werden, bis im Oktober 2003 – also bereits nachdem Libyen inoffiziell Kontakt zu den Briten aufgenommen hatte – schließlich eine große Schiffsladung vor der libyschen Küste von US-Geheimdiensten abgefangen wurde. Diese ließ sich bis zum weltweit operierenden Khan-Netzwerk zurückverfolgen, wodurch die Kooperation aufgedeckt wurde.

Ende des Programms

Kurze Zeit später, am 19. Dezember 2003, stimmte Libyen im Zuge der Verhandlungen mit den USA und Großbritannien, der Eliminierung sämtlichen nuklearen Materials, Equipments und Programmen für den Bau von ABC-Waffen und ballistischen Raketen zu und erklärte offiziell, gegen den Atomwaffensperrvertrag verstoßen zu haben.

Damit einhergehend gab man ebenfalls zu, zwischen 2001 und 2002, Teile von Bauplänen für eine kernspaltungsbasierte Atombombe von Dr. Khan erhalten zu haben, jedoch war man weit vom technischen Know-how entfernt, das für den Bau einer Bombe benötigt worden wäre und hätte dies nach eigenen Angaben auch ohne weitere Hilfe nicht geschafft.

Internationale Rehabilitation

Gemäß der Quid-Pro-Quo-Vereinbarung wurden daraufhin – im laufe des Jahres 2004, nachdem im Januar mit dem Abbau der gesamten, für den ABC-Waffenbau benötigten, Infrastruktur durch Großbritannien und die USA unter Aufsicht der IAEO begonnen wurde – die meisten gegen das Land verhangenen UN- und US-Sanktionen aufgehoben. Die aufgrund des Staatsterrorismus verhangenen Sanktionen blieben jedoch weiterhin in Kraft.

Schließlich, seit dem Jahr 2008, war Libyen wegen seiner Kooperationsbereitschaft und Transparenz, offiziell nur noch Gegenstand von Routinekontrollen der IAEO.
Es folgten bilaterale nukleare Kooperationsabkommen mit Frankreich, der Ukraine, Argentinien und Kanada, sowie ein Vertrag mit Russland über den Bau eines AKW in Libyen.

Seit dem Ausbruch des libyschen Bürgerkrieges 2011 dürfte eine weitere Entwicklung des zivilen libyschen Atomenergieprogramms jedoch in den kommenden Jahren kaum realistisch sein. tw (Quellen: Brookings Institute, NTI, Arms Control Association)

Bild oben: Muammar Qaddafi, 2009. Foto: Jesse B. Awalt / gemeinfrei

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