05.12.2018
In der aktuellen Eskalation im Streit um den bilateralen INF-Vertrag zwischen der USA und Russland, drohen die USA den Vertrag einseitig zu kündigen. Beide Seiten haben sich über Jahre hinweg des Vertragsbruchs bezichtigt. Falls Russland nicht einlenken sollte, könnten die USA in zwei Monaten ihre Drohungen wahrmachen.
Am 20. Oktober 2018 erklärte der US- Präsident Donald Trump öffentlich, dass Russland sich nicht an den Vertrag halte und er diesen deshalb aufkündigen wolle. Auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg ließ verlauten, dass eine Rüstungskontroll-Vereinbarung nicht funktionieren könne, wenn sie nur von einer Partei eingehalten werde. Für den Fall, dass in Europa Mittelstreckenraketen stationiert werden, drohte Russlands Präsident Vladimir Putin nachzuziehen und warnte, dass diese Länder dabei selbst riskieren, Ziel eines Vergeltungsschlages zu werden.
Am 4. Dezember kündigte Außenminister Mike Pompeo an, die US-Administration würde in 60 Tagen beginnen, den Austrittsprozess in Gang zu setzen, es sei denn, Russland würde die Bestimmungen des Vertrages wieder einhalten. "Nur Russland kann den Vertrag retten", sagte er.
Der formelle Austrittsprozess würde noch sechs Monate dauern. In dieser Zeit würden die USA keine Raketen testen oder stationieren, die unter dem Vertrag verboten sind.
Der INF-Vertrag verhindert seit seinem Abschluss 1987, dass bodengestützte Mittelstreckensysteme mit Reichweiten zwischen 500 und 5.500 Kilometern in Europa stationiert werden. Er stellt einen Wendepunkt für die Rüstungskontrolle im Kalten Krieg dar. Erstmals wurden zwei Kategorien nuklearer Trägersysteme verboten – Kurz- und Mittelstreckensysteme – und komplett eliminiert.
Schon seit der abschließenden Erfüllung aller Vertragsverpflichtungen 2001, und dem Ausbleiben beidseitiger „Vor-Ort-Inspektionen“, gibt es Uneinigkeiten über die Vertragskompatibilität bestimmter Waffensysteme. Die russischen Vorwürfe an die USA betreffen deren Entwicklung von Drohnen und deren Durchführung von Tests mit ballistischen Raketen. Jüngste Vorwürfe gehen vor allem auf die Stationierung des landgestützten Aegis Raketenabwehrsystems in Rumänien ein.
Russland bezieht sich dabei auf Ähnlichkeiten des Aegis-Systems mit den seegestützten Mk-41-Vorrichtungen, welche in der Lage sind, u.a. Tomahawk-Marschflugkörper zu starten. Landgestützte Mittelstreckensysteme wären mit dem INF-Vertrag nicht konform. Die USA widersprechen diesen Vorwürfen, und weisen im Fall von Aegis darauf hin, dass das System im Rumänien zwar mitunter die gleichen Komponenten wie das Mk-41-System habe, es verfüge jedoch nicht über die nötigen Fähigkeiten, um nach dem INF-Vertrag verbotene Mittelstreckensysteme zu starten. Es sei damit kein nach dem INF-Vertrag verbotenes Startsystem.
Gleichzeitig werfen die USA Russland seit 2014 vor, den Marschflugkörper SSC-8 entwickelt und getestet zu haben, dessen Reichweite in die vom INF-Vertrag verbotenen 500-5.500 Kilometer falle. Seitdem in den USA die russische Bezeichnung „9M729“ für die Rakete veröffentlicht wurde, bestätigt Russland zwar die Existenz eines neuen Systems, bestreitet aber die Inkompatibilität mit dem INF-Vertrag, da es nie für die im Vertrag betreffenden Reichweiten getestet wurde, und auch nicht so modifiziert werden könne, dass sie diese erreichen würde.
Mit dem drohenden Scheitern des Vertrags steht nun die Gefahr im Raum, dass erneut Mittelstreckenraketen in Europa stationiert werden. Mittelstreckenraketen werden als besonders gefährlich angesehen, weil sie nur wenige Minuten brauchen, um ihr Ziel zu erreichen. Dies lässt Politikern und Militärs wenig Zeit, eventuelle Fehlalarme als solche zu identifizieren, was das Risiko eines Atomkriegs drastisch erhöht. ph/xh (Quellen: Amerika Dienst, Tass, DefenseNews, Reuters)
Bild oben: Sowjetischer Inspektor untersucht ein US-Marschflugkörper vor seiner Zerstörung, 1988. Foto: Jose Lopez/gemeinfrei
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