06.09.2012
Die israelische Bombe gilt im Lande als "ultima ratio" (letzte Option), sollte die vollständige Vernichtung Israels drohen. Dies lässt die Regierung wissen, ohne offiziell zuzugeben, dass Israel Atomwaffen besitzt. In der Presse nannte man sie die "Samson-Option", nach der biblischen Geschichte von Samson, der die Säulen des Königspalastes einriss, um die Philister zu vernichten. Dabei starb natürlich auch er selbst. Kein anderer Staat beschäftigt sich so viel mit dem Thema Selbstverteidigung und Sicherheit seiner Existenz bis hin zu Selbstmordgedanken wie Israel. Die Wahrnehmung extremer arabischer Feindlichkeit macht für Israel seine militärische Stärke unabdingbar.
Was Größe, Bevölkerungsgröße und Ressourcen angeht, ist Israel seinen muslimischen Nachbarn unterlegen. Israel geht noch immer davon aus, dass seine Nachbarn es vernichten wollen. Seine Sicherheitsdoktrin geht darum davon aus, dass das Land sich ohne fremde Hilfe gegen seine übermächtigen Nachbarn verteidigen können muss. Tatsächlich verfügt Israel heute über fortschrittliche, hoch technologische Kapazitäten konventioneller Kriegsführung, die das Land auch ohne nukleare Abschreckung nur schwer angreifbar machen. Dies entspricht auch Israels Militärdoktrin, nach der das Land genau diese Fähigkeiten zur Abschreckung besitzen muss. Im Falle eines tatsächlichen arabischen Angriffs müsste ein Krieg schnell und mit überwältigenden Mitteln geführt und auf dem Gebiet des Feindes geführt werden. Der Besitz von Atomwaffen durch einen anderen Staat im Nahen Osten gilt dabei als inakzeptabel und muss demnach verhütet werden. Wie ernst Israel dies meint, sieht man an den israelischen Luftangriffen auf Atomreaktorbaustellen im Irak 1981 und in Syrien 2007, sowie wiederholte Androhungen iranische Anlagen anzugreifen.
Der Wunsch nach Atomwaffen entstand bereits Ende der 1940er Jahre, als die Erinnerung an die Shoah noch frisch, und die Bedrohung durch die arabischen Nachbarstaaten noch akut war. Dies führte zur Entschlossenheit, sich mit allen Mitteln zu verteidigen. Auf der anderen Seite könnte eine tatsächlicher Krieg, oder sogar Atomkrieg mit seinen Nachbarn für das Land fatale Folgen haben, zieht man seine hohe Populationsdichte und geringe Fläche in Betracht. Darum wäre der Erwerb von Atomwaffen durch einen Nachbarstaat auch eine ernste Bedrohung, in den Augen der israelischer Politiker. Dies, und die moralische Verwerflichkeit von Atomwaffen, führten zu einer Art Selbsthemmung. Diese Spannung zwischen Entschlossenheit und Hemmung führte zu einem originären Umgang mit dem eigenen Arsenal, oft als „nuclear ambiguity“ – also „nukleare Ungewissheit“ bezeichnet. Weder bestätigt noch dementiert Israel den Besitz von Atomwaffen. Die Bürger werden aufgefordert, dem zu Folgen, teilweise durch die Gesetzgebung, und die Medien unterliegen, was das Thema Atomwaffen betrifft, strenger Zensur – teils staatlicher und teils Selbstzensur. Diese Haltung der Undurchsichtigkeit nennt man auf Hebräisch „Amimut“.
Israel hofft so bis heute, die Vorteile atomarer Abschreckung nutzen zu können, ohne die vollen politischen Kosten als Atomwaffenstaat tragen zu müssen. Tatsächlich scheinen sich die meisten arabischen Staaten widerwillig mit diesem „schlecht gehüteten Geheimnis“ arrangiert zu haben, drohten 2008 aber dennoch damit, aus dem NPT auszusteigen, sollte Israel sich offiziell zum Atomwaffenstaat erklären. Die Kehrseite der „ambiguity“ sind die Unmöglichkeit von internationalen Verhandlungen oder Abkommen bezüglich Atomwaffen mit einem Staat in einem solchen dauerhaften Schwebezustand. Ein faktischer Atomwaffenstaat könnte mit einer klar formulierten, offenen Doktrin, die die Umstände eines eignen Atomwaffeneinsatz klar formuliert, auch Missverständnisse in Konfliktfällen vermeiden und für Entspannung sorgen. Auch die Prinzipien von Transparenz in einer Demokratie werden verletzt, wenn die eigene Bevölkerung nicht weiß, wer in welchem Fall den Atomwaffeneinsatz befehlen könnte und würde, oder welche Kosten das Atomprogramm für Umwelt und Gesellschaft hat.
Viele in der Welt glauben fest daran, dass Israel seine Atomwaffen wirklich nur in der letzten Minute einsetzen würde. Sie reden vom "Holocaustsyndrom" und "Opfergefühlen", die dazu beitragen, dass die Israelis sich absichern wollen. Es gibt Berichte, dass auf die erste je produzierte israelische Atombombe "Nie Wieder" geschrieben wurde. Dennoch spricht die Tatsache, dass Israel so viele taktische und miniaturisierte Atomwaffen besitzt dafür, dass sich das Land den Einsatz der Atomwaffen auf einem Schlachtfeld vorstellen kann. Allerdings ist die Miniaturisierung der israelischen Atomwaffen wohl auch dem Fehlen großer, strategischer Trägersysteme geschuldet, wie großer Bomber oder Interkontinentalraketen mit großer Traglast. Dies erklärt jedoch nicht unbedingt die Existenz atomar bestückter Kurzstreckenraketen, wie der Jericho I, oder, falls die Berichte stimmen, atomarer Artilleriegranaten. Dies kann unter Umständen auf taktische Überlegungen hinweisen, wie sie sonst nur die USA während der zweiten Phase des Kalten Krieges getroffen hatte – das Stoppen eines Übermächtigen Gegners mit einem „begrenzten“ Einsatz taktischer Atomwaffen kurz hinter der gegnerischen Front. Diese Überlegungen sind allerdings gefährlich, da sie die eigene Führung dazu verleiten können, Atomwaffen als Erweiterung des konventionellen Arsenals zu sehen.
Auch wenn die israelische Regierung in Wirklichkeit in der Atomwaffenoption einen reinen militärischen Vorteil sieht, wird diese gegenüber der israelischen Bevölkerung als ultimatives Selbstmordattentat verkauft und damit gebilligt. Die „ambiguity“ soll die Abschreckungswirkung dabei noch verstärken, da sich seine Feinde nie sicher sein könnten, in welchem Fall das Land Atomwaffen einsetzen würde.
Auf der einen Seite sagen Israelische Politiker Sätze wie: „Israel wird nicht als erstes Atomwaffen einführen“, auf der anderen Seite gab es immer wieder verschleierte atomare Drohungen oder die Versetzung von Teilen des Atomarsenals in Alarm- und Bereitschaftszustände: Laut der US-Zeitschrift Time am Anfang des Krieges von 1973, als Israel gleichzeitig von zwei Seiten - Ägypten und Syrien - bedroht wurde, befahl Golda Meir die Montage von Atomsprengköpfen auf Kurzstreckenraketen. Moshe Dayan erklärte, Israel habe "keine andere Wahl". 1992 sagte Oded Brosh, israelischer Atomexperte: "…wir müssen uns nicht schämen, dass die Kernwaffenoption ein Hauptinstrument unserer Verteidigung als Abschreckung gegen alle ist, die uns angreifen." Oder Israel Shahak: "Israel bereitet sich auf einen Krieg vor, wenn es sein muss, auf einen Kernwaffenkrieg…"
Israel nutzte seine Bombe auch, um Druck auf die USA auszuüben. Yitzhak Shamir erklärte 1987: "Wenn Israel allein gelassen wird, wird es keine andere Wahl haben, als auf eine riskante Verteidigung zurückzugreifen, die es selbst und die Welt stark gefährden wird … Um Israel in die Lage zu versetzen, auf die Abhängigkeit von Atomwaffen zu verzichten, braucht es zwei bis drei Milliarden Dollar an US-Hilfe jährlich."
Am 22. Februar 2001 gab Israel Raketenalarm, nachdem es Nachricht über die Bewegungen irakischer Panzerdivisionen erhielt. Die Israelis warnten den Irak, sie seien bereit, in einem Präventivangriff Neutronenbomben einzusetzen. Dies zeigt, wie gefährlich die Situation im Nahen Osten ist. Die Wahrscheinlichkeit eines atomaren Einsatzes in einer so angespannten Lage ernstzunehmen.
Außerdem berichteten zwei britische Zeitungen im Januar 2007, dass Israel darüber nachdenkt, taktische Nuklearwaffen gegen den Iran einzusetzen.
Seitdem gibt es Spekulationen darüber, ob die Äußerungen Olmerts und Levites ein Versehen waren, oder ob mehr dahinter steckt. Eine These ist, dass darin eine Drohung an den Iran versteckt ist, sich nicht mit Israel anzulegen. Manche sehen hinter den öffentlichen Bekenntnissen zur Atombombe auch einen Appell an die USA. Diese sollen dazu bewegt werden, im Iran einzugreifen – andernfalls werde Israel dies selbst tun, und zwar im Zweifel mit Nuklearwaffen. xh, jk (Quellen: Foreign Affairs, CSIS, NTI, FAS)
Bearbeitungsstand: September 2012
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