Atomwaffen A-Z

Majak / Kyschtym

Die russische Atomindustrieanlage in Majak kontaminierte durch eine Serie von Unfällen und radioaktiven Lecks in den Tetscha Fluss mehr als 15.000 km mit hoch radioaktiven Abfallprodukten. Der Kyschtym-Unfall verseuchte 1957 eine große Fläche der östlichen Uralregion. Tausende Menschen mussten umgesiedelt werden. Bis heute zählt die Region um Tscheljabinsk, Swerdlowsk und Kurgan zu den am meist kontaminierten Orten der Erde.

 

Hintergrund

Die Produktionsgenossenschaft Majak war die erste und mit einem Gelände von mehr als 200 km auch größte Atomindustrieanlage der Sowjetunion. Zwischen 1945 und 1948 wurden an diesem Standort zwischen Jekaterinburg und Tscheljabinsk fünf Atomreaktoren gebaut, um Plutonium für das sowjetische Atomwaffenprogramm herzustellen. 1949 konnte die erste Ladung von waffenfähigem Plutonium hergestellt werden. Die Anlage wurde kontinuierlich erweitert, bis 1987 die Produktion gestoppt und der Betrieb schrittweise eingestellt wurde. Von 1949 bis 1956 wurden insgesamt 100 PBq (Peta = Billiarde) an radioaktivem Abfall in die Zuflüsse des Flusses Tetscha geleitet – unter anderem Strontium-90, Cäsium-137, Plutonium und Uran. Zum Vergleich: die radioaktive Belastung des Pazifischen Ozeans durch den Super-GAU von Fukushima schätzt man auf etwa 78 PBq (hauptsächlich Jod-131 und Cäsium-137). Zudem kam es in Majak bis 1968 zu mindestens acht kritischen Unfällen. So führte die Ausbreitung von radioaktivem Staub aus der Atommülldeponie in Karatschai 1967 beispielsweise zu einer Kontamination von über 1.800 km mit Cäsium-137. Der wohl folgenschwerste Unfall ereignete sich allerdings 1957 im 15 km entfernt gelegenen Kyschtym, als ein Container mit 740 PBq an radioaktivem Abfall explodierte und eine Fläche von mehr als 15.000 km verseuchte. Nach Tschernobyl und Fukushima gilt der Kyschtym-Unfall als drittschwerstes Atomunglück der Geschichte (Stufe sechs auf der Internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse INES). Bleibende Folge der Katastrophe ist die mehr als 200 km lange radioaktiv verseuchte 'Osturalspur', in der allein der Leukämie verursachende Stoff Strontium-90 Konzentrationen von bis zu 7,4 Mbq/m (Mega = Million) erreicht. Zum Vergleich: nach Tschernobyl wurden alle Gebiete mit mehr als 0,5 Mbq/m Strahlenbelastung zur permanenten Sperrzone erklärt.

Folgen für Umwelt und Gesundheit

Knapp 19.000 Arbeiter waren bis 1973 in Majak angestellt. Sie erhielten die höchste Strahlenbelastung durch die zahlreichen Unfälle. Die rund 10.000 Beschäftigten, die bereits vor 1959 in der Anlage arbeiteten erhielten im Durchschnitt eine kumulative äußere Strahlendosis von 1.200 mSv. Diese Dosis entspricht in etwa der Strahlenbelastung durch 12.000 Röntgenuntersuchungen. Allein durch die externe Verstrahlung ist daher bei etwa zwölf Prozent der Beschäftigten mit der Entwicklung einer Krebserkrankung zu rechnen. Die Zahl wird jedoch vermutlich noch höher liegen, da die interne Verstrahlung ebenfalls einen Einfluss auf das Krebsrisiko hat. So nahmen beispielsweise etwa 1.000 Arbeiter Plutonium in Größenordnungen von 1.500 bis 172.000 Bq auf. Das relative Risiko für Knochenkrebs liegt in dieser Bevölkerung einer russischen Studie zu Folge entsprechend acht mal höher als in der Allgemeinbevölkerung, das relative Risiko für Leberkrebs sogar 17 mal höher. Neben den Beschäftigten der Anlage bilden die knapp 300.000 Bewohner der kontaminierten Regionen die am stärksten betroffene Gruppe. Die geschätzte Kollektivdosis dieser Bevölkerung beträgt etwa 4.500 Personen-Sievert, etwa 60% der Kollektivdosis des Super-GAUs von Tschernobyl. Menschen, die in der Nähe von Majak oder dem Fluss Tetscha lebten, waren aufgrund der radioaktiven Verseuchung ihrer Umwelt einer durchschnittlichen Lebenszeitdosis von 1.700 mSv ausgesetzt. Diese Lebenszeitdosis setzt sich zusammen aus externer Bestrahlung, der Aufnahme von kontaminiertem Trinkwasser und dem Verzehr von Nahrung, die auf kontaminierten Feldern angebaut wurde. Voraussichtlich 17% der Bevölkerung werden somit eine Krebserkrankung entwickeln, die sie ohne die Kontamination durch Majak nicht entwickelt hätten. Chronische Strahlenkrankheit und ein Anstieg der Fälle von Leukämien, Lungen-, Leber- und Knochentumoren konnten in der betroffenen Bevölkerung nachgewiesen werden. Weiterhin zeigte sich in zwei- bis fünf-facher Anstieg in der Häufigkeit von Knochenmarksuppressionen, Chromosomenaberrationen sowie Tot- und Fehlgeburten. Aufgrund militärischer Geheimhaltung wurden die Menschen in der Region nicht über die Gefahren der hohen Radioaktivität informiert. Aus dem gleichen Grund wurde das wahre Ausmaß der radioaktiven Kontamination und der gesundheitlichen Auswirkungen auf die Lokalbevölkerung nie vollständig dokumentiert oder untersucht.

Ausblick

Bis heute sind ca. 14.000 Arbeiter in der Atomanlage von Majak beschäftigt, um Plutonium, Uran und andere Spaltprodukte für die Atomindustrie herzustellen. Majak beherbergt zudem Russlands einzige atomare Wiederaufbereitungs- und Müllverarbeitungsanlage. Der Großteil der abgerüsteten russischen Atomsprengköpfe landet irgendwann in Majak. Obwohl die Kontamination der Umgebung in den letzten Jahrzehnten auf etwa ein Drittel zurückgegangen ist, wird das Umland von Majak auch weiterhin noch als eine der am schlimmsten radioaktiv verseuchten Orte der Welt angesehen. Speicherseen des
Tetscha Flusses werden noch immer als Deponien für radioaktiven Müll benutzt. So wird das belastete Flusssystem weiter kontaminiert und die Menschen vor Ort andauernder Radioaktivität ausgesetzt. Groß angelegte epidemiologische Studien und weitere Dekontaminationsprojekte sind dringend erforderlich, um die Hibakusha von Majak, die bereits so viel unter der rücksichtslosen russischen Atompolitik gelitten haben, in Zukunft adäquat schützen zu können. (Quelle: Ausstellung „Hibakusha weltweit“)


Bearbeitungsstand: März 2014

Quelle:

IPPNW: Hibakusha Weltweit, Ausstellung 2014
 

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