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Atomwaffenstaat | Indien

Die genaue Zahl der indischen Atomwaffen ist nicht bekannt. Es wird vom Bulletin of Atomic Scientists (Nuclear Notebook) und SIPRI geschätzt, dass Indien 130 bis140 Atomsprengköpfe besitzt und genug spaltbare Materialien, um bis zu 200 Atomwaffen produzieren zu können. Indien ist seit einigen Jahren im Begriff, sein Arsenal zu modernisieren. Mindestens vier neue Systeme sind aktuell in Entwicklung. Darüber hinaus baut Indien zwei neue Anlagen zur Plutoniumherstellung.

Momentan sind sieben nuklearfähige Systeme in Betrieb: zwei luft-, vier land- und ein seegestütztes System. Das Entwicklungsprogramm ist bereits fortgeschritten, und neue land- und seegestützte Langstreckenraketen werden vermutlich in den nächsten zehn Jahren stationiert.

Laut IPFM (2014) hat Indien bis zu 600 kg waffenfähiges Plutonium, genug für 150 bis 200 Atomwaffen. Dieses Plutonium wurde noch nicht komplett für Atomwaffen verwendet, doch für die neuen Waffensysteme wird mehr Plutonium benötigt. Indien ist in der Lage, in seinem Dhruva Plutoniumreaktor ca. 140 kg waffenfähiges Plutonium pro Jahr herzustellen und plant laut IPFM, zwei weitere Reaktoren für die Herstellung von Plutonium zu bauen. Im Bau ist ein Prototyp-Brüterreaktor beim Indira Gandhi Atomforschungszentrum nahe Kalpakkam, der die Herstellungsmenge bedeutend erhöhen wird.

Doktrin
Indien hat traditionell Pakistan als Hauptadressat für seine nukleare Abschreckung genannt. In letzter Zeit scheint aber China mehr in den Fokus Indiens zu rücken. Die erhöhte Reichweiten der neuen Raketen sind ein Indiz für diese Entwicklung.

1999 verfasste Indien seine Atomwaffendoktrin. Sie basierte auf der Doktrin der offiziellen Atomwaffenstaaten: "Indien verfolgt eine Doktrin der glaubwürdigen Minimalabschreckung". Diese besteht aus:

  1. ausreichenden, überlebensfähigen und einsatzbereiten Atomstreitkräften
  2. robusten Kommando- und Kontrollsystemen
  3. effektiven Aufklärungs- und Frühwarnungspotenzialen
  4. Planung und Training für atomaren Operationen
  5. dem Willen, Atomwaffen einzusetzen.


Die Atomstreitkräfte sollen auf Basis einer Kombination aus Luftwaffe, landgestützten und seegestützten Raketen operieren, die dem Angreifer bei einem Vergeltungsschlag "inakzeptablen Schaden zufügt".

2003 wurde die offizielle und kürzere Version dieser Doktrin der "Minimalabschreckung" veröffentlicht. Wobei "minimal" nicht auf eine kleine Streitkraft begrenzt verstanden wird, sondern die Möglichkeit für eine Expansion offen lässt: "Nukleare Vergeltung auf einen Ersteinsatz hin wird massiv sein und inakzeptablen Schaden verursachen".

Bisher galt eine Politik des Nichtersteinsatzes, jedoch behält sich Indien seit 2003 das Recht auf Vergeltung bei einem Angriff mit C- oder B-Waffen vor (Beispiel USA).

Die Befürchtung ist, dass Indien einen automatisierten Raketenstart einführt (d.h. die Raketen werden durch Signale des Frühwarnsystems gestartet) und damit ein Atomkrieg "aus Versehen" ausgelöst wird. Problematisch ist außerdem, dass alle indischen nuklearen Trägersysteme auch mit konventionellen Sprengköpfen bestückt werden können. Während eines Konflikts kann das schwerwiegende Folgen haben, da der Gegner nicht klar sehen kann, ob ein konventioneller oder ein atomarer Angriff vorliegt.

Modernisierung
Am weitesten gediehen ist die Agni-4-Rakete, die sich bereits in Produktion befindet aber noch nicht in Betrieb. Die Mittelstreckenrakete kann einen einzigen Sprengkopf mehr als 3.200 km transportieren. Sie wurde zuletzt im Januar 2017 getestet. Agni-4 soll 2018 stationiert werden und kann China aus Nordindien fast komplett erreichen, inklusive Peking und Shanghai.

Die Agni-5 ist mit 5.000 km Reichweite beinah eine Interkontinentalrakete (ICBM), die von überall aus in Indien China erreichen kann. Agni-5 wurde zuletzt im Dezember 2016 getestet. Zunächst wurde vermutet, dass die Agni-5-Rakete mit mehreren Sprengköpfen ausgestattet wird oder sogar mit multiplen unabhängigen Wiedereintrittskörpern (MIRV). Bisher gibt es jedoch keine Berichte, dass diese Vermutung sich bewahrheitet. Eine solche Ausstattung würde zudem durch ihr Gewicht die Reichweite wieder kürzen. Raketen mit MIRV-Fähigkeiten würden der minimalen Abschreckungsdoktrin widersprechen und ein Wettrüsten in der Region riskieren. Allerdings könnte die Ankündigung Chinas, dass es einige seiner ICBMs mit MIRV ausstatten will, sowie Pakistans Raketentest mit MIRV, diejenigen im militärisch-industriellen Komplex stärken, die diese Entwicklung bevorzugen.

Angeblich ist eine Agni-6 – eine echte Interkontinentalrakete mit einer Reichweite von 8.000 bis 10.000 km – geplant, die auch von U-Booten gestartet werden könnte, aber diese Behauptung könnte übertrieben sein.

Die alte seegestützte Dhanush-Kurzstreckenrakete nutzt wenig, weil der Start zu nah an der pakistanischen bzw. chinesischen Küste erfolgen müsste. So wäre das Schiff angreifbar. Als Ersatz hat Indien das neue Arihant Atom-U-Boot gebaut, das 12 Atomraketen vom Typ K-15 (Sagarika) abfeuern kann. Das U-Boot ist jedoch noch in der Testphase. Ein zweites U-Boot (Aridhaman) wird gebaut. Eventuell baut Indien insgesamt drei oder vier U-Boote sowie einen neuen Stützpunkt für sie nahe Rambilli auf der Ostküste.

Für diese U-Boote sind zwei Atomwaffen in Entwicklung: K-15 hat eine relativ kurze Reichweite von 700 km, während K-4 schon ca. 3.000 km weit reicht. Damit dürfte die K-4-Rakete eher wichtiger für Indien sein, weil sie Islamabad und weite Teile von China erreichen könnte. Die K-4 wurde zuletzt im März 2016 getestet. Das Arihant U-Boot kann mit vier K-4-Raketen ausgestattet werden, mit nur je einem Sprengkopf. Künftige U-Boote können eventuell doppelt so viele Raketen tragen.

Die indischen Atomstreitkräfte 2018

Indische Atomstreitkräfte 2018
TypZahl der Träger
Jahr stationiert
Reichweite
(km)
Sprengkopf
(KT)
Zahl der Sprengköpfe
Flugzeuge
Mirage 2000H/Vajra~1619851.8501 x Bombe ~16
Jaguar IS/IB/Shamsher~3219811.6001 x Bombe~32
landgestützte
Raketen
Privthi 2~2420033501 x 12~24
Agni 1~202007700+1 x 40~20
Agni 2~1620112.000+1 x 40~16

Agni 3

~82014?3.200+1 x 40

~8

Agni 4n.b.(2018)3.500+1 x 40n.b.
Agni 5n.b.(2020)5.200+1 x 40n.b.
seegestützte
Raketen
Dhanush220134001 x 124
Sagarika/K-15(12)(2017)7001 x 12(12)
K-4n.b.?~3.0001 x ?0
Gesamt




130-140

Quelle: Norris, R./Kristensen, H.: Nuclear Notebook, in: Bulletin of the Atomic Scientists, 2018

► Quellen

Bearbeitungsstand: Januar 2018

Indisches Arsenal 2018
Insgesamt< 140
Atomsprengköpfe130-140
Ausreichend Stoff für150-200

Quelle: Nuclear Notebook 2017

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