Atomwaffen A-Z

Fehlalarm

Die Auslösung eines nuklearen Austausches

Die Kubakrise ist das weltweit bekannteste Beispiel eines „beinahe Atomkrieges". Dennoch gibt es mindestens fünf weitere Beispiele, die sich alle von der Kubakrise unterscheiden: Sie ereigneten sich, weil US- oder russisches Führungspersonal auf einen Fehlalarm reagierten, der durch eine Fehlfunktion der Warnsysteme oder durch die falsche Interpretation von Ereignissen ausgelöst wurde.

Alle diese Zwischenfälle waren kurz, d.h. nicht mehr als 10 Minuten lang. Führende Militärs mussten dabei entscheiden, ob ein nuklearer „Vergeltungsschlag" zu befehlen war, bevor die eigenen Atomwaffen vernichtet werden konnten.

Fall 1

Der gespiegelte Mond

Am 5. Oktober 1960 meldete ein Frühwarnradar auf Grönland einen massiven sowjetischen Angriff ballistischer Raketen, die auf dem Weg in die USA seien. Ein Fehler im Computersystem entfernte zwei Nullen aus den Messkomponenten des Radars. Damit wurde der Raketenangriff mit einer Entfernung von 2.500 Meilen dargestellt. In Wirklichkeit handelte es sich um die 250.000 Meilen entfernte Spiegelung des Mondlichts.

Fall 2

Das Übungstonband

Am 9. November 1979 wurde Mitarbeiter*innen im Militärkommandozentrum des Pentagon, in den Cheyenne Mountains, sowie im zweiten Kommandozentrum, in Fort Ritchie in Maryland, ein massiver atomarer Angriff der Sowjetunion auf ihren Computern angezeigt. Alle führende Offiziere der drei Kommandozentren wurden zusammengerufen, um die Bedrohung einzuschätzen. Die Kontrollzentren für die Minuteman-III-Interkontinentalraketen erhielten erste Warnungen darüber, dass die USA vor einem atomaren Angriff stehe. Auch die Luftwaffe wurde alarmiert und 10 Kampfflugzeuge wurden gestartet, um die Raketen abzufangen. Der Fehlalarm wurde durch ein Übungstonband ausgelöst. Der Fehler kam erst ans Licht, als das weltraumgestützte Frühwarnsystem den Angriff nicht bestätigte.

Fall 3

Der Computer Chip

Am 3. Juni 1980 wurde erneut Alarm ausgelöst. Die Sowjetunion hätte einen massiven atomaren Angriff gestartet, meldeten die Computer. Die Raketen bekamen ebenfalls ihre Startwarnungen und die Mannschaften stiegen in die Abfangflugzeuge. Aber im Vergleich zum Zwischenfall mit dem Übungstonband erschien der Angriff nicht plausibel. Die Computer zeigten widersprüchliche Informationen an: manchmal waren zwei Raketen zu sehen, dann wieder 200. Wiederum wurde ein Bewertungstreffen einberufen und schließlich entschärften die Frühwarnsatelliten die Situation. Drei Tage später, am 6. Juni, wiederholte sich das Ereignis mit dem gleichen Aufwand. Später wurde entdeckt, dass ein fehlerhafter Computerchip der Auslöser war.

Fall 4

Herbstsonnenstrahlen

Moskau, der 26. September 1983, kurz nach Mitternacht: Ein sowjetischer Frühwarnsatellit meldet den Angriff einer Handvoll US-Raketen auf die Sowjetunion. Sonne, Satellit und US-Raketenfelder waren so aufeinander ausgerichtet, dass die Strahlen der Sonne von den Satelliten falsch identifiziert wurden. Glücklicherweise entschied sich der sowjetische Oberst Stanislaw Petrow den Alarm nicht an seine Vorgesetzten weiterzuleiten, weil er es als seltsam erachtete, nur mit fünf statt mit 500 Raketen angegriffen zu werden. Diese Entscheidung hat unseren Planeten gerettet.

Fall 5

Die Wetterrakete

Am 25. Januar 1995 starteten norwegische Wissenschaftler*innen zusammen mit ihren Kolleg*innen aus den USA eine große Rakete. Sie sollte Daten über atmosphärische Bedingungen aus verschiedenen Höhen sammeln. Die Flugbahn der Rakete erschien russischen Radartechniker*innen der einer US-Trident-Rakete zu entsprechen. Für einige Minuten stand Russland kurz davor, einen nuklearen Angriff in vollem Ausmaß auf die USA zu starten. Am Tag danach sagte Boris Jelzin, er hätte zum ersten Mal seinen „nuklearen Fußball" aktiviert – ein Gerät, das ihm ermöglicht mit seinen höchsten Militärberater*innen zu kommuniziert.

Weitere Fälle

Am 23. Mai 1967 fielen drei arktische Radaranlagen des US-Frühwarnsystems in Kanada, Nordengland und Grönland gleichzeitig aus. Wurde dies durch einen feindlichen sowjetischen Angriff ausgelöst? Die Atombomber wurden auf Verdacht in Alarmbereitschaft versetzt und die Atomwaffen startklar gemacht. Ein heftiger Sonnensturm war jedoch der Auslöser, der die Technik gestört hatte. Anfangs wollten die Militärs dieser Erkenntnis der Wissenschaftler nicht glauben, denn die Stimmung 1967 war sehr angespannt. Schließlich kam aber der Befehl, die Atombomber in der Luft in ihren Patrouillenstreifen zu lassen und die Alarmbereitschaft zu beenden.

Ebenfalls sehr beunruhigend ist die Geschichte der Minuteman-Rakete am 10. Januar 1984, die „unerlaubt" starten wollte. Wegen eines Computerfehlers erhielt die Rakete in Cheyenne, Wyoming, den Startbefehl. Um den Start zu verhindern wurde ein gepanzertes Auto auf dem Silo geparkt.

Eine großangelegte Militärübung der NATO "Able Archer" vom 7. bis 11. November 1983 soll beinah zum Atomkrieg geführt haben. Denn die Sowjetunion interpretierte die Simulation als einen echten atomaren Angriff. Die europaweite Übung simulierte die höchste Alarmstufe - DEFCON 1 - bei einer koordinierten Attacke gegen die Sowjetunion unter strenger Geheimhaltung. Die Übung war sehr realistisch und verwendete eine neue, verschlüsselte Kommunikation. Sogar die Staatschefs spielten mit. Unbemerkt von der NATO, löste die Übung Panik auf der sowjetischen Seite aus. Sie befürchteten, dass sich hinter der Übung einen tatsächlichen Atomangriff versteckt und machten ihre Atomwaffen startklar. Laut Rainer Rupp, der für die DDR als Spion im Westen eingesetzt wurde ist durch seine Information die Wahrheit, dass es nur ein Spiel sei, bekannt geworden. Dieser Fall bleibt offiziell zwar unbestätigt, 2013 deklassifierte Dokumente aus den USA und Großbritannien zeigen jedoch, dass die Welt hier an einem Atomkrieg vorbeigeschrammt ist.

Für 38 Minuten in 2018 bangten die Menschen auf Hawai'i, denn es kam zu einem Raketenfehlalarm. Jemand hatte auf dem falschen Knopf gedrückt. Die Einwohner*innen der Inseln bekamen eine SMS von der Katastrophenschutzbehörde: "Drohende ballistische Rakete. Sofort Zuflucht suchen. Das ist keine Übung." Die Nachricht löste Panik aus. Die Menschen suchten sich einen sicheren Ort oder versuchten ihre Familie zufinden. Mehr als eine halbe Stunde später kam die Entwarnung.

Mehr als 1.200 solcher Fehlalarme soll es laut Sandia National Laboratories alleine zwischen 1950 und 1968 gegeben haben. Der US-amerikanische Autor Eric Schlosser dokumentierte in seinem Buch "Command and Control" viele dieser Vorfälle und Unfälle der letzten 70 Jahre. xh (Quellen)

► Quellen

Bearbeitungsstand: Januar 2019

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